Im November 1943, einhundert Jahre nach dem Baubeginn, wurde das Neue Museum auf der Berliner Museumsinsel, von Friedrich Wilhelm IV. beim Schinkel-Schüler August Stüler als Freistätte fiir Kunst und Wissenschaft in Auftrag gegeben, bei einem Bombenangriff schwer getroffen. Sechzig Jahre später wird am 23. Juni 2003 noch einmal Baubeginn sein, wenn der Wiederaufbau der Ruine dieses kunstgeschichtlich und bautechnisch einzigartigen Denkmals des Historismus startet, das auch für die Geschichte des Museumswesens eine herausragende Rolle spielt.
Der Wiederaufbau wird sich zunächst weitgehend im Verborgenen abspielen. Die Ruine ist in eine silbrige Hülle gepackt (Christo lässt grüßen), die die ideale Projektionsfläche für die Informierung der Öffentlichkeit über das Bauvorhaben bildet. Schon bald wird dort zu lesen sein 'Nofretete kehrt zurück.' Das Insel-Kuratorium, in dem sich namhafte deutsche Unternehmen zur Unterstützung des Wiederaufbaus der Insel zusammengeschlossen haben, unterstützt auch das virtuelle Insel-Modell, das im Internet unter www.museumsinsel-berlin.de einen ersten Eindruck von der künftigen 'Mitte der Mitte Berlins' gibt.
Soeben haben als Förderverein sich auch die 'Freunde des Neuen Museums' konstituiert. Nach einem langjährigen Planungsprozess hat der englische Architekt David Chipperfield unter dem Motto des 'behutsamen Weiterbauen's ein Konzept entwickelt, das die nach den Kriegszerstörungen erhalten gebliebene Substanz bewahrt, auf Rekonstruktionen verzichtet und die fehlenden Bauteile in den Proportionen des historischen Bauwerks, aber in den klaren, schlichten Formen der für Chipperfield charakteristischen Architektursprache ergänzt. Architekt, Denkmalpfleger, Bauverwaltung und Bauherr, die Museen also, haben sich in der langen Planungsphase zu einem harmonischen Team zusammengefunden, das fiir die großen Linien und für die kleinen Details gemeinsame Lösungen entwickelt hat. Mitte 2003 wird noch ein Ausstellungsplaner in diese Arbeitsgruppe aufgenommen.
Entgegen der ursprünglichen Nutzung für viele verschiedene Sammlungen werden sich künftig nur das Ägyptische Museum und das Museum für Vor- und Frühgeschichte (einschließlich Troja und Zypern) in die Ausstellungsflächen des Neuen Museums teilen; auf der Basisebene wird das Neue Museum durch die Archäologische Promenade räumlich und inhaltlich an das Alte Museum und das Pergamonmuseum angebunden.
Wer das Neue Museum wie ehedem vom Kolonnadenhof her durch den Haupteingang betritt, wendet sich entweder nach links in den Vaterländischen Saal und zur Vor- und Frühgeschichte oder nach rechts in den Mythologischen Saal zum alten Ägypten. Beide Sammlungen werden nicht unverbunden nebeneinander stehen, sondern sich inhaltlich verschränken. So wird die umfangreiche Zypern-Abteilung den Kulturkontakt im Ostmittelmeerraum thematisieren, an dem Ägypten, Vorderasien und Griechenland einen nicht unwichtigen Anteil haben, und die Vorgeschichte Ägyptens vom Paläolithikum bis in die prädynastische Zeit soll ebenso wie die vorgeschichtliche Entwicklung in anderen Kulturen der antiken Welt (und wohl auch in Asien und Amerika) in die Abteilung Steinzeit des Museums für Vor- und Frühgeschichte integriert werden.
Der Griechische Hof als Teil der Archäologischen Promenade wird den Themenbereich 'Chaos und Kosmos' zeigen, die elementare Auseinandersetzung zwischen Ordnung und Unordnung. Das Jagdrelief und die Götterprozession des Sahure als ägyptischer Beitrag, ein assyrisches Relief, das Orpheusmosaik aus der Antikensammlung, der Goldhut aus dem Museum für Vor- und Frühgeschichte, ein riesiger Ornamentteppich des Islamischen Museums und vielleicht auch ein Steinkreis des Land-Art-Künstlers Richard Long sollen sich zu einer vielschichtigen, aber thematisch dichten Präsentation zusammenschließen.
Im Ägyptischen Hof werden die tonnenschweren Steinsarkophage der ägyptischen Spätzeit, griechische Grabstelen, römische und frühchristliche Sarkophagreliefs in der ummittelbaren Nachbarschaft der assyrischen Königsgruft die Auseinandersetzung des Menschen mit Tod und Jenseits demonstrieren. Wenige Werke, alle von hoher Qualität, sollen Fragenkomplexe, die auch den modernen Menschen beschäftigen, in ihren von Epoche zu Epoche, von Kultur zu Kultur so unterschiedlichen Brechungen und Lösungsvorschlägen sinnlich erfahrbar machen.
Im Raum unter dem Flachkuppelsaal sollen Sprache und Schrift von der Schriftentwicklung in Mesopotamien im 4. Jahrtausend v. Chr. über die Schriftsysteme Ägyptens zu den Schriften der klassischen Antike und schließlich bis hinein in die metaschriftlichen Kommunikationssysteme der modemen Piktogramme dargestellt werden. Mit Sprache wird auch der am vollständigsten erhaltene Raum des Neuen Museums, der Niobidensaal, zu tun haben. Er wird eine Bibliothek der Weltliteratur der Antike aufnehmen, von sumerischen Epen über die Klassiker der ägyptischen Literatur zu den Griechen und Römern und schließlich zu den christlichen und islamischen Texten. Es wird die erste antike Bibliothek. von Originaltexten werden, in der eine Audioführung nicht nur Übersetzungen in modeme Sprachen, sondern auch den Klang der antiken Sprachen vermittelt.
Dass diese Themen transkulturell von verschiedenen Museen gemeinsam gestaltet werden können, ist ein kleines Wunder. Kein anderer vergleichbarer Museumskomplex, weder der Louvre, noch das British Museum oder das Metropolitan Museum in New York, haben bei ihrer Neustrukturierung zu dieser Kooperation gefunden, die den antiken Kulturen eine ganz neue Aktualität verleiht und sie mitten hineinstellt in unsere heutige Welt.
Wenn diese Konzepte noch nicht ihre endgültige Form gefunden haben, so sollte das niemand beunruhigen. Noch ist Zeit, den Gedanken freien Lauf zu lassen, denn die Wiedereröffuung des Neuen Museums wird erst am 16. Oktober stattfinden - 2009.
Dietrich Wildung
(Artikel der Mitgliederzeitschrift aMun)