Anfang Dezember 2002 wurde der 100. Geburtstag des Kairo-Museums gefeiert - ein Fest, das weit über die Fachwelt der Ägyptologen und über die Ägyptenliebhaber hinaus von Bedeutung ist. Das Museum am Midan et-Tarir ist ein Ort nationaler Selbstidentifikation Ägyptens. Ein 2300 Jahre älterer Ort der Identität des Kulturlandes Ägypten feierte soeben seine Wiederauferstehung, die Bibliothek in Alexandria.
Schon im April 2002 sollte die neue Bibliothek in Alexandria eröffnet werden. Die weltpolitische Lage machte eine Verschiebung des Termins nötig, und so lud
S.E. Mohamed Al Orabi, der Botschafter der Arabischen Republik Ägypten in Berlin, erst für den 16. Oktober 2002 in die Staatsbibliothek Unter den Linden ein, um gleichzeitig mit dem Festakt in Alexandria das große Ereignis auch in Berlin zu begehen.
Die Papyrus sammlung und die Staatsbibliothek hatten für den Abend eine Ausstellung vorbereitet, die Originalhandschriften aus Ägypten aus dem Zeitraum vom 3. Jahrtausend v. Chr. bis ins Mittelalter zeigte und einen Eindruck von der kulturellen Vielfalt der einstigen Bibliotheca Alexandrina vermitteln konnte. Während in der zeitlich versetzten Satelliten-Übertragung aus Alexandria Staatspräsident Hosni Mubarak und der französische Präsident J. Chirac zu sehen waren, erinnerte D. Wildung an die Rolle Alexandrias als Zentrum der geistigen Welt während des halben Jahrtausends von Alexander dem Großen bis ans Ende des Römischen Reiches. Alexandria war der Umschlagplatz für die kulturelle Hinterlassenschaft des alten Ägypten, die ausstrahlte über das ganze Imperium; von hier wurden die Obelisken und Statuen nach Italien ausgeführt, die das antike Rom schmückten und an denen sich das Interesse am alten Ägypten in der Renaissance entzündete. Alexandria war aber auch der Ort, über den die Errungenschaften der antiken Mittelmeerwelt aus Rom und Griechenland nach Ägypten gelangten und das Zeitalter des Hellenismus auch im Niltal anbrechen ließen, bis hinauf ins meroitische Reich, wo der Kiosk von Naga und die in Naga von der Berliner Expedition gefundene Isisstatue die südlichsten Belege für die Ausbreitung hellenistischer Kultur in Afrika bilden. Der Eröffnung der Bibliotheca Alexandrina kommt damit gerade heute ein hoher Symbolwert für den Dialog der Kulturen zu.
Das von norwegischen Architekten errichtete Projekt mit einer Bausumme von $ 450 Millionen bietet künftig 8 Millionen Büchern und 2000 Benutzern Platz. Seine konzeptionelle Ausrichtung als Forschungszentrum und internationale Begegnungsstätte ist noch nicht endgültig umrissen. Seine spektakuläre bauliche Gestalt, eine schräg aus dem Küstenstreifen am Alten Hafen aufsteigende runde Scheibe, bewusst als Assoziation an die aufgehende Sonne gedacht, ist aber zweifellos ein Rahmen, der sich alsbald mit Substanz füllen wird und die Chance hat, aus dem einstigen geistigen Zentrum der Antike, das heute so ganz im Schatten Kairos steht, wieder eine internationale Metropole zu machen. Das internationale Publikum der Berliner Feier Unter den Linden stimmte hoffnungsfroh.
Dietrich Wildung
(Artikel der Mitgliederzeitschrift aMun)